Behinderten-Initiative geht zu weit - Bundesrat zieht Behindertengleichstellungsgesetz der Volksinitiative vor

Bern, 27.02.2003 - Die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Behinderte" ist schwer umsetzbar und unverhältnismässig. Eine sofortige Umsetzung wäre sehr kostspielig. Der Bundesrat hält daher das neue Behindertengleichstellungsgesetz klar für die bessere und vor allem verhältnismässigere Lösung. Ausserdem sind darin die wichtigsten Anliegen der Initiative bereits erfüllt. Über die Volksinitiative befinden Volk und Stände am 18. Mai 2003.

Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold und die Zürcher Regierungsrätin Dorothée Fierz (FDP) orientierten heute die Medien über die Folgen und Mängel der Initiative sowie über das Behindertengleichstellungsgesetz. Das neue Gesetz, welches das Parlament am 13. Dezember 2002 verabschiedet hat, erfüllt bereits einen grossen Teil der Ziele der Initiative, setzt die Instrumente aber ausgewogener ein und beachtet auch die ebenfalls schützenswerten Interessen der Grundeigentümer und der Anbieter von Dienstleistungen. Parlament und Bundesrat empfehlen deshalb Volk und Ständen, das Volksbegehren abzulehnen.

Warum geht die Initiative zu weit?

Die Volksinitiative verfügt über keine Übergangsbestimmung. Das Recht auf Zugang zu Bauten und Einrichtungen sowie auf Inanspruchnahme von Dienstleistungen ist somit unmittelbar anwendbar. Die Initiative präzisiert nicht, wie und wie rasch die Eigentümer von Bauten und die Anbieter von Dienstleistungen ihre Gebäude und Dienstleistungen an die Bedürfnisse Behinderter anpassen müssen. Es wäre deshalb an den Gerichten festzulegen, was wirtschaftlich zumutbar ist und welches die Pflichten der Grundeigentümer oder der Dienstleistungsanbieter sind.

Die Initiative räumt ein Recht auf Zugang zu allen Bauten und Einrichtungen ein, die für die öffentlichkeit bestimmt sind. Hingegen unterscheidet sie nicht zwischen Neubauten, Altbauten und ohnehin zu erneuernden Altbauten. Gerade änderungen an bestehenden Bauten, die sonst nicht renoviert würden, verursachen besonders hohe Kosten. Die Initiative trägt diesen Situationen nicht Rechnung und ist zu wenig differenziert.

Das Volksbegehren garantiert ein Recht auf Zugang zu allen Dienstleistungen, auch jenen von Privatpersonen. Sie fordert von einem privaten Anbieter, dass er besondere Massnahmen ergreift, um sein Dienstleistungsangebot den Bedürfnissen Behinderter anzupassen, soweit die Anpassungen wirtschaftlich tragbar sind. Auch hier wäre es an den Gerichten, an Stelle des Gesetzgebers und des privaten Unternehmers zu entscheiden, welche Massnahmen unter Beachtung der finanziellen Rahmenbedingungen wirtschaftlich tragbar sind.

Warum ist das neue Behindertengleichstellungsgesetz besser?

Parlament und Bundesrat sind überzeugt, dass der Alltag der rund 700 000 Behinderten in der Schweiz durch verschiedene Massnahmen erleichtert werden kann. Parlament und Bundesrat haben deshalb ohne Verzug die Umsetzung der Verfassung an die Hand genommen. Die Verfassung untersagt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und verpflichtet die verschiedenen Gesetzgeber, für die Gleichstellung der behinderten und der nicht behinderten Menschen zu sorgen (Art. 8, Abs. 2 und 4). In der Folge hat das Parlament am 13. Dezember 2002 ein neues Gesetz über die Gleichstellung der Menschen mit Behinderung verabschiedet. Dieses Gesetz greift die wesentlichen Punkte der Initiative auf. Es nimmt aber auch angemessene Rücksicht auf die Interessen der Eigentümer und der Anbieter von Dienstleistungen.

Das neue Gesetz ist ein wirksames Instrument: Es räumt den Behinderten das Recht auf Zugang zu Bauten, Anlagen sowie die Inanspruchnahme von Einrichtungen und Leistungen, die für die öffentlichkeit bestimmt sind. Es geht sogar weiter, indem es auch Wohnhäuser mit mehr als acht Wohneinheiten und Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen erfasst. Im Unterschied zur Initiative gilt das Gesetz nur für neue Bauten oder solche, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erneuert werden.

Private und öffentliche Dienstleistungen

Was die Dienstleistungen anbelangt, verlangt das Gesetz nur vom Gemeinwesen positive Massnahmen, um seine Dienstleistungen auf die Bedürfnisse der Behinderten auszurichten. Die Privaten dürfen zwar ihre Dienstleistungen nicht in diskriminierender Weise anbieten, sie sind aber nicht verpflichtet, besondere Massnahmen zu ergreifen, um ihre Dienstleistung Behinderten besser zugänglich zu machen.

Das neue Gesetz legt im übrigen die nötigen Grundlagen, um eine aktive Einbeziehung Behinderter in die Gesellschaft zu betreiben: Programme zur Förderung der Integration Behinderter, Sensibilierungskampagnen, Finanzhilfen an die Kantone zur Förderung der Sprach-, Hör- und Sehbehinderten und Finanzhilfen für die Transportunternehmen, um die Anpassung des öffentlichen Verkehrs an die Bedürfnisse Behinderter zu beschleunigen.

Das neue Bundesgesetz, das auf den 1. Januar 2004 in Kraft treten soll, legt für die ganze Schweiz einen einheitlichen Mindeststandard fest. Die Kantone können weiter gehende Massnahmen ergreifen. Die Lösung ist deshalb einheitlich, weil der Gesetzgeber und nicht Gerichte diese umschreibt und er dabei die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und politischen Rahmenbedingungen einbezieht.


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Letzte Änderung 30.01.2024

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